Die Kreativen Professionellen
Kreativ – aber unfähig…
Diesen Titel bekamen wir als studentische Arbeitsgruppe im ersten Semester „ehrenvoll“ von unseren Lehrern und Mitstudenten verliehen, nachdem wir in einer nächtlichen Sonderschicht unseren 5m hohen Arbeitsraum an der Universität mit einer hölzernen Zwischendecke versehen und damit zwei weiteren Zeichentischen einen Fensterplatz ermöglicht hatten. Weil die Decke sich auf besorgniserregende Weise durchbog, empfahl man uns dringend, statisch nachzubessern, was wir dann zur allgemeinen Erheiterung mit einem nächtlichen „2. Bauabschnitt“ beantworteten....
Dem Vertrauen, mittels unserer Kreativität bessere Lösungen für unbefriedigende Lebenssituationen zu finden, hat das unvollkommene Experiment nicht geschadet – im Gegenteil! - wir erfuhren neben der Kritik auch viel Anerkennung für unsere Initiative. In einer vorhandenen begrenzten Situation einen neuen Ort mit besonderen Qualitäten zu entdecken, zählt zu den charakteristischen Eigenschaften von Architekten. Die „Befähigung“, das auf professionelle Weise zu tun, haben wir in den folgenden Studien- und Berufsjahren erworben. Zu diesen Grundkompetenzen gehört unter anderem:
- Entwurfsmethodik und Darstellungstechnik
- Standort- und Projektentwicklung, d.h. Potenziale und Ressourcen von Orten auffinden und erschließen
- Planen und Bauen im historischen Zusammenhang
- Bausubstanz (konstruktiv, statisch, bauphysikalisch, energetisch/ökologisch, wirtschaftlich, gestalterisch) beurteilen, verbessern, neu erstellen
- Gestalten von sozialen, physiologischen, ästhetischen Zusammenhängen und Ordnungen
- Integration von ökologischen, ökonomischen und rechtlichen Bedingungen, sowie von projektspezifischem Fachwissen
- Bau- und Kostenplanung und –kontrolle
- Planung und Beratung in Gruppenprozessen, z.B. im Gemeindehausbau
Die Architekten zählen in unserer Gesellschaft von Spezialisten zu den wenigen verbliebenen Generalisten mit der Fähigkeit zum fachübergreifenden Denken, die Fachwissen und Fachleute unterschiedlicher Sachgebiete in eine Gesamtlösung integrieren können. Dazu muß die jeweilige Aufgabenstellung und der Verbesserungsbedarf sehr genau aufgenommen und verstanden sein, um dann eine passende neue Lösung zu entwerfen – Architekten haben die Fähigkeit, sich etwas „vorzustellen“, was noch nicht da ist – und dieses dann auch anderen zu vermitteln.
Leider wird auch in unserem Gemeindebund das kreative Potential von Architekten noch viel zu wenig genutzt. Ob das an der manchmal selbstherrlichen Arroganz des Berufsstandes aus früheren Zeiten oder an den Ängsten der Gemeinden vor der oft unkonventionellen, Althergebrachtes infragestellenden Sichtweise von Architekten liegt, mag dahingestellt bleiben... Jedenfalls kann sich heute kein Architekt mehr leisten, an den konkreten Wünschen, Bedürfnissen und dem Kostenrahmen seiner Bauherren vorbei zu planen. Allerdings sollte auch keine Gesellschaft auf die Beiträge ihrer professionellen „Kreativen“ verzichten, ohne die die Welt viel ärmer wäre, als sie ist.
(Bilder: FeG Stuttgart und Gudensberg vorher und nachher)
Als Beispiele für die Entwicklung von alten Standorten durch neue Gemeindehäuser dienen hier die zwei prämierten Projekte des letzten Architekturpreises für freikirchliches Bauen aus dem Jahre 1998 – belegt mit Fotos, die einen „Vorher-Nachher-Vergleich“ ermöglichen. Deutlich werden soll hierbei, daß die Kreativität von Architekten nicht das selbstherrliche Ausleben von persönlichem Geschmack, Moden oder Designvorlieben mit dem Geld anderer Leute zum Ziel hat, sondern vielmehr Teil einer Fachkompetenz ist, die sich zum Wohl und für die Zukunft unserer Gesellschaft „in Dienst nehmen“ lässt.
Bettina Noesser - Büro Noesser Padberg Architekten - Arbeitskreis Architektur+Freikirche