Nachhaltig Gemeinde bauen

( Artikel veröffentlicht in "Christsein heute" - Zeitschrift für Freie evangelische Gemeinden - Juli 2010)

 

Nachhaltigkeit gehört zu den mit am häufigsten gebrauchten Wörtern unserer heutigen gesellschaftlichen Debatte. Und es bedeutet sehr viel mehr als nur Energiesparen. Es ist eine Haltung der umfassenden Achtsamkeit in Bezug auf das eigene Tun und Lassen, auch im Hinblick auf die Folgewirkungen, verantwortet vor der Schöpfung, vor der nachfolgenden Generation und allem Leben auf unserem Planeten.

In den 70ger Jahren begann – ausgelöst durch die Studentenunruhen von 1968 und die erste Ölkrise 1973 verbunden mit Kritik an Atomenergie, Wohlstandsgesellschaft, Umweltzerstörung – ein gesellschaftlicher Wandel, der u.a. zur Gründung der Partei "Die Grünen", der Friedensbewegung und der "Alternativen Liste" führte.

Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch das Bauen um neue Ideen, Ziele und Werte bereichert, es entstanden z.B. die sogenannten „Öko-Siedlungen“. Der Spiegel machte das Thema schon 1984 in einer Titelgeschichte einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Seitdem wurden von den insgesamt 350 Ökosiedlungen in Europa, in Deutschland etwa 180 Stück mit ca. 26.000 Wohnungen gebaut.

Dabei integrieren nachhaltige Siedlungen nicht nur die Energieeffizienz des Heizens, sondern beachten auch Energie-Herstellung und -Transport (z.B. durch ein Nahwärme-Netz), Baukonstruktion und Baustoff-Kreisläufe einschließlich Entsorgung, Infrastruktur (z.B. autofreie Siedlungskonzepte mit Car-Sharing-Station), Freiraumgestaltung (z.B. Regenwasser-Versickerung, Gründächer), regional-ökonomische (Auftrags-Vergabe an mittelständische Baufirmen der Region) und soziale (demographischer Wandel, soziale Mischung) Aspekte in ihrer Bilanz und suchen damit für die drängenden Fragen unserer Zeit strukturelle Antworten.

Die Bewertung der Nachhaltigkeit konkreter Bauprojekte erfolgt mittlerweile global im Wettstreit unterschiedlicher Zertifizierungssysteme. Dabei bietet das “Deutschen Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen“ (DGNB) zurzeit das anspruchsvollste Label unter den Anbietern.

Auf Siedlungsebene ist es heute ohne Wohlstandseinbußen möglich, die Treibhausgasemissionen gegenüber Standardsiedlungen um 80% zu senken (Beispiel: Mustersiedlung Hannover-Kronsberg zur EXPO 2000). Beispielsweise erzeugt ein Gebäude in Holzbauweise (Brettstapelholz-System) über seinen gesamten Lebenszyklus (50Jahre) durch den geringen Energieverbrauch bei der Herstellung und die große Menge des im Baustoff eingelagerten CO2 (s. Kasten) im Vergleich zu der negativen Energiebilanz eines Gebäudes in Massivbauweise einen positiven Primärenergie-Überschuss pro m² und Jahr, von dem 2 Passivhäuser ein Jahr geheizt werden können.

Nachhaltige Energiebilanz des Baustoffes Holz:

die im Baustoff Holz durch Photosynthese eingelagerte Sonnenenergie kann selbst im Entsorgungsfall noch durch Verbrennen genutzt werden und wird im gleichzeitig nachwachsenden Wald neu gebunden. Beispielsweise sind in Österreichs Wäldern mit ca. 1 Milliarde m³ Holz ca. 800 Millionen to Kohlenstoff eingelagert. Jährlich wachsen über 30Mio m³ Holz nach, der Verbrauch liegt bei ca. 20Mio m³. Insofern ermöglicht die Holzwirtschaft einen erneuerbaren, d.h. nachhaltigen CO2-Kreislauf anstelle der Freisetzung von in den Fossilien Öl, Gas, Kohle in Urzeiten eingelagerten CO2, das in unserer Zeitrechnung nicht kompensierbar ist. Die Holzwirtschaft einschließlich aller damit zusammenhängenden Produktionen (z.B. Papier) schafft dabei Arbeitsplätze in einer der Autoindustrie vergleichbaren Größenordnung – und dies vorwiegend in mittelständischen Betrieben und eher strukturschwachen Regionen - dies nur mal so zum Nachdenken, warum wir eigentlich dem Auto eine solche Dominanz in unseren Wirtschaftsprozessen einräumen. Notwendig, vernünftig und nachhaltig ist das nicht.

Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen:

Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG machte Deutschland zum führenden Industriestaat beim Ausbau alternativer Energieträger. Es wurde in 47 Ländern als Vorbild übernommen - ungeachtet der inzwischen vieldiskutierten Überarbeitungserfordernis.

Durch die schrittweise Verschärfung der primärenergetischen Anforderungen der Energieeinsparverordnung, kurz EnEV - seit 2004, soll der Weg für den ab 2021 EU-weit vorgeschriebenen „Niedrigstenergiestandard“ geebnet werden. Zum 1. Januar 2016 werden daher die primärenergetischen Anforderungen der EnEV erneut pauschal um 25 Prozent verschärft.

Nachhaltigkeit in Kirchen und Gemeinden:

Seit den 1980ger Jahren hat das Thema „Nachhaltigkeit“ unter dem Leitmotiv „Bewahrung der Schöpfung“ Eingang in die Zielvorstellungen christlicher Friedens- und Umwelt-Initiativen gefunden. Auslöser war der Konziliare Prozess (gemeinsamer Lernweg christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung), der auf der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (Kanada) 1983 seinen Anfang nahm.

Inwieweit diese Gedanken heute in den Freikirchen angekommen sind, ist schwer zu ermessen – wenn, dann mit Verzögerung und eher leise.

Dabei ist das hier dargestellte umfassende Verständnis von Nachhaltigkeit eine zutiefst christliche achtsame Werthaltung, die in den Schöpfungsberichten mit dem Auftrag zur Hege des Anvertrauten grundgelegt ist.

Meine Beobachtung ist, dass Nachhaltigkeit als Ziel und Qualität in den üblichen gemeindlichen Bauprojekten selten thematisiert und noch viel weniger konkretisiert wird.

Vorherrschender Blickwinkel ist vielmehr die Forderung nach maximalen Funktionsflächen bei minimalen Kosten – eine reduzierte Ausrichtung auf Quantitäten, die sowohl der Nachhaltigkeit (Gebäudeflächen müssen gepflegt und instand gehalten werden – der wirtschaftliche Aufwand hierfür während der Nutzungsdauer eines Gebäudes übersteigt bei weitem die Aufwendungen für seine Erstellung), wie auch einer Qualitäts-Orientierung widerspricht.

Die Anschaffung eines innovativen Heizsystems mit erneuerbaren Energiequellen (Holz, Erdwärme o.ä.) ist aufgrund der kürzeren Nutzungs- und damit Heizzeiten im Gemeindehaus wirtschaftlich meist nicht darstellbar. Auch Fördergelder der KfW gibt es in der Regel für Kirchengemeinden nicht oder nur zu sehr speziellen Bedingungen.

Wenn man jedoch ganzheitlicher und damit „nachhaltiger“ an die Aufgabenstellungen herangeht, bieten sich oftmals doch Möglichkeiten, innovative nachhaltige Problemlösungen z.B. durch Synergie-Felder zu finden, wie in folgenden Beispielen:

  • Der Bauausschuss der FeG Bonn entschied sich trotz höherer Investitionen für eine Grundwasserwärmepumpe. Sie bot sich durch die Rheinlage des Gemeindehauses an und brachte zusätzlich den kostenlosen Nutzen einer Kühlung durch Grundwasser im Sommer ein – eine energiefressende Klimaanlage konnte eingespart werden und die Verbrauchskosten haben sich inzwischen auf niedrigem Stand eingependelt.
  • Die FeG Langenfeld (s.Foto) entschied sich beim Neubau ihres Kirchgebäudes für ein elementiertes Holzbausystem, das sich neben der Nachhaltigkeit des Baustoffes durch gute konstruktive Eignung für die Aufgabe und durch minimale Bauzeit auszeichnete.
  • Die FeG Wuppertal-Ronsdorf investierte in die Installation einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach ihres neuen Gemeindehauses (in Holzbauweise), mit der aus Sonnenlicht Strom erzeugt wird. Mittels staatlicher Förderung für den „Vorbild-Multiplikator Kirchengemeinde“ (im Foyer informiert eine mitlaufende Anzeigetafel über den ständig erzeugten Stromertrag – s.Foto)       bei der Investition und durch die vergütete Einspeisung des erzeugten Stromes in das öffentliche Netz erwirtschaftet die Anlage nach ca. 10 Jahren Gewinn.

Weitet man den Blick über das Kosten- und Energiesparen hinaus, wenn es sich rechnerisch nicht darstellen lässt, können Gemeinden trotzdem durchaus kreativ und verantwortlich ihren Anteil zur Schöpfungsbewahrung und darüber hinaus zur Bewusstseinsbildung beitragen.

Warum nicht ein gemeindliches Car-Sharing-Projekt einrichten oder in sozialen Netzwerken neue Lösungsmodelle für den demographischen Wandel (z.B. Genossenschaftliche Finanzierungsmodelle für Baugruppen) entwickeln und damit der lokalen Agenda 2010 beitreten? Solche Ideen gibt es durchaus – auch in Gemeinden - und die Zeit scheint gesellschaftlich reif dafür zu sein.

Im Bauprozess ist schon der bewusste Verzicht auf den fünften Riesen-Gruppenraum für nur einen wöchentlich tagenden Kreis und die Bereitschaft, stattdessen vorher und nachher die Stühle zu stellen und den Raum auf die eigenen Gruppen-Bedürfnisse einzustimmen, im Sinne der Einsparung von teuren, energieverschlingenden Flächen eine zutiefst nachhaltige Entscheidung und kann entsprechend ernsthaft begründet werden.

Auch ist der Umbau oder die Umnutzung vorhandener Gebäudebestände insbesondere im städtischen Zusammenhang fast immer nachhaltiger als ein Neubau auf der grünen Wiese – Parkplatzproblem eingerechnet!

Zum Abschluss:

Da die tatsächliche Nachhaltigkeit eines konkreten Vorhabens meistens komplexe Folge- und Wirk-Zusammenhänge betrifft, ist es sinnvoll, entsprechende Fachleute zur Abwägung und Entscheidungshilfe (z.B. Energieberatung) hinzuzuziehen. Das meint nicht unbedingt nur den systemoptimierenden Technik-Spezialisten, sondern auch mal den querdenkenden und tiefenlotenden Generalisten, der in komplexen Fragestellungen helfen kann, Überblick und Orientierung herzustellen – einschließlich der hauseigenen Theologen, die ja gelernt haben sollten, über das rein pragmatisch-funktionale hinauszudenken und Grundsätzliches nachhaltig in den Blick zu nehmen ...

Literaturangaben:

DETAIL – Zeitschrift für Architektur :

Heft 03.2010 – Konzept: Nachhaltiger Wohnungsbau v. H.Wolpensinger u. W.Ried

Heft 02.2009 – Green: Nachhaltigkeit im Holzbau

Nachhaltige Architektur in Vorarlberg: Ulrich Dangel, Birkhäuser Verlag 2010

überarbeitet B.N. 28.5.2015